Unsere Rituale auf der Alp

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von Lukas Weithas | Tamons

28.07.2021

Rituale hat jeder, ob bewusst oder unbewusst. Was sich bei uns auf der Alp Tamons etabliert hat, lest ihr hier.

Rituale sind Moratorien des Alltags. Sie markieren einen neuen Zeitabschnitt und schieben das Alltägliche dadurch einstweilen auf. So gehen sie in eine Opposition zur Zeit selbst. Auch auf der Alp Tamons gibt es Rituale, die unseren Alltag umrahmen.

Der Alpsegen

Wenn von Alpritualen die Rede ist, dann fällt schnell das Stichwort ‚Alpsegen‘, der auch Betruf genannt wird. Und das nicht nur von Seiten der Älpler:innen, sondern auch von interessierten Laien. Dieses Ritual unterscheidet sich von Region zu Region und auch von Alp zu Alp. Zudem wird der Text je nach Person in unterschiedlicher Art und Weise interpretiert. Verschieden ist auch, ob er monoton gesprochen, ‚gebetet‘ oder auch gesungen wird.

Der Alpsegen soll Unheil, beispielsweise durch Wetterstürze, vorbeugen, das Tierwohl sowie die Gesundheit der Älper:innen beschwören. Beim Alpsegen unseres Kühers Benjamin Stillhart lässt sich zwischen den laut gerufenen Zeilen ein wohltuender Singsang vernehmen. Er ruft den antisemitisch entschärften Sarganserländer Betruf jeden Abend nach getaner Arbeit. Er beendet dessen dramatische, nachhallende Anmut neuerdings mit einem lauten Jauchzer, um dieses Pathos in einer gewissen Leichtigkeit am Ende zu brechen.

Ein Kaffee oder Tee, der verbindet

Neben dieser allbekannten Tradition lassen sich bei uns einige weitere ritus-ähnliche Praxen aufzählen. In dem linearen Zeithorizont, der auf der Alp herrscht, schaffen diese in einer besonderen Art und Weise Brüche. Gerade in dem sonst üblichen ‚un-unterteilten‘ Alltag auf der Alp in Freizeit und Arbeitszeit kommt uns das gelegen. Das Leben und die Tätigkeiten auf der Alp richten sich nach dem Wetter und dem Rhythmus der Tiere – diesen haben wir Menschen ihnen einst aufoktroyiert. Wir haben uns rituelle Tätigkeiten eingerichtet, die der Diktatur der Zeit eine rituelle Opposition gegenüberstellen und sich die Zeit für uns für einen kurzen Moment von uns bestimmbar erscheinen lassen.

Alltäglichen steht um halb vier das morgendliche Einstallen der Tiere an. Gemeinsam mit dem Rinderhirten Paul Grünenfelder, der uns, seit wir hier vor fünf Jahren anfingen, einstallen hilft, gibt es dann eine Kaffee- oder Teepause. Diese Pause hat sich als wertvolle Praxis etabliert. Obwohl wir auch länger schlafen könnten, lässt uns dieses gemeinschaftliche Ritual kurz innehalten, die Tiere beruhigen sich und wir haben die Möglichkeit, die Zeit zu nutzen, wie es uns beliebt. Wenn das Wetter nun schlecht sein sollte, dann hilft dem Volksmund zufolge anscheinend auch ein Schuss Trester im Heissgetränk. Und wenn es gut ist, dann soll es durch einen ‚Gutsch‘-Geschmack auch so bleiben.

Selbst- und Nächstenliebe

Nach diesem ritualisierten Tagesbeginn ist es bei uns mittlerweile zudem Brauch geworden, jegliche Behältnisse (Streu, Kalk, Schweinefutter, Putzmittel etc.) nach dem Gebrauch für den oder die Nächste:n wieder aufzufüllen. Das gibt uns das Gefühl, der Zeit einen Schritt voraus zu sein – eine Art Investition in die Zukunft. Nicht nur für einen selbst, sondern auch für den Gebrauch der nächsten Person.

Black Metal im Trockenraum

Am Abend trinken wir nicht selten in unserem stets beheizten ‚Trockenraum‘, in welchem wir die Stallkleider aufbewahren, ein oder zwei Bier zum Tagesabschluss. Dazu dann noch ein anti-esotrisches Nag-Champa-Räucherstäbchen und es werden die guten aber auch die bösen Geister mit einer ordentlichen Portion Black Metal beschworen (Hörtipp für Black-Metal-Fans).

So schließt unser Tag oft, es blieben noch einige mehr ritualisierte Praxen zu nennen. Nicht alle weiss ich allerdings, da sie jeder von uns dreien, oft auch ohne es zu wissen, einbaut und sie insofern auch Privatsache bleiben sollen. Ich persönlich streiche zum Beispiel (fast) jeden Tag drei umgekehrte Kreuze in das durch Dampf angelaufene Fenster der Sennerei. Wohl bekommt’s.

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